Damals und heute – Pflege im Wandel

Bei einem unserer langen Sonntagsfrühstücke erzählte meine jüngste Tochter von ihrem Praktikumsplatz. Der Einrichtungsleiter hatte ein Lichtbild und Lebenslauf von ihr gefordert und darum gebeten, beides in der Einrichtung vorbeizubringen.  Meine Tochter erzählte lachend, dass sie mit einem Lichtbild nichts anfangen konnte und fragte, ob sie die Unterlagen nicht auch per Mail senden könne. Da war er wieder, einer dieser Momente, an denen ich mich alt fühle. Ich finde den Ausdruck Lichtbild normal und ein persönliches Gespräch, an dem man seine Unterlagen mitbringt, gut und angebracht. Damit bin ich wohl ziemlich „oldschool“. Das bringt mich auf den Gedanken, was sich alles verändert hat, gerade innerhalb der Pflege.

Zu Beginn meiner Ausbildung gab es auf jeder Station die graue Eminenz – die Frau, bei der alle Fäden zusammenliefen. Mit ihr durfte es sich niemand verscherzen, auch nicht und schon gar nicht die Ärzte – die Stationsschwester. Als Schülerin war es immer wieder eine Herausforderung, sich ihre Gunst zu erarbeiten. Sie war es, die einem nützliche Tipps und Tricks vermittelte, und das in der Theorie Gelernte in der praktischen Anwendung weitergab. Aber nur, wenn sie wollte… Und meistens wollte sie, wenn man sich als besonders fleißiger Schüler erwies, dem nichts zu schwer war. Der als erstes während der Frühstückspause aufstand, wenn ein Patient die Klingel betätigte. Nicht nur einmal, sondern laufend.

Anika von Hilfe Daheim 1998 als Krankenschwester im Albertinen-Krankenhaus. Foto: Hilfe Daheim
Anika von Hilfe Daheim 1998 als Krankenschwester im Albertinen-Krankenhaus. Foto: Hilfe Daheim

Wissenschaft statt Marmeladenbrot

Die Arbeit am Patienten war verursachungsgeprägt, weniger wissenschaftlich. Es wurde also auf pflegerische Herausforderung reagiert, wenn diese passierten. In der ambulanten Pflege von damals gab es kaum verbindliche Vorschriften, jeder baute sein eigenes System auf und entweder gelang es oder aber auch nicht. Wir hatten damals ein DIN A4-Schreibheft mit dürftigen Angaben zu den Kundendaten und Diagnosen und das wurde bei einer namenhaften Krankenkasse als besonders innovativ ausgestellt.

Es war eine Zeit des Aufbruchs in neue Pflegewelten, die gemeinsam erobert und besiedelt wurden. Das war die Faszination, die mich in der Pflege hielt. Heute, fast 25 Jahre später, ist alles ganz anders, die Pflege ist zur Mail geworden, die kein Lichtbild mehr braucht. Wir haben der Wissenschaft unser präventives Verhalten zu verdanken. Wir schauen nicht mehr, wie das Marmeladenbrot auf die Marmeladenseite fällt, und wischen dann die Marmelade weg, sondern wir sorgen dafür, dass das Brot nicht mehr fällt und schon gar nicht auf die Marmeladenseite.

Darüber beraten wir was das Zeug hält, manchmal ohne, dass diese Beratung auch wirklich gewünscht wird. In einer MDK-Prüfung, die uns jährlich ereilt, hielt uns ein Prüfer an, auch an Demenz erkrankte Kunden beraten zu müssen und ihre Reaktion zu dokumentieren. Das schreiben die Qualitätsprüfrichtlinien so vor. Der Kunde, um den es ging, war dementiell sehr eingeschränkt, konnte einfache Zusammenhänge nur mit Mühe erfassen. Über den Sinn kann man sich nun seine eigenen Gedanken machen…

Büroalltag in der Pflege 1997 vs. heute: mit der Modernisierung kam auch die Bürokratisierung. Foto: Hilfe Daheim
Büroalltag in der Pflege 1997 vs. heute: mit der Modernisierung kam auch die Bürokratisierung. Foto: Hilfe Daheim

Reduzierte „Manpower“

Das Positive an dieser Entwicklung sind eine bessere Kundenversorgung und Aufklärung. Nachweislich nehmen weniger Kunden Schaden wegen defizitärer Pflegesituationen. Ich bin mir nicht sicher, wie die Entwicklung in Zeiten des Pflegefachkraftmangels weitergeht. Doch die andere Seite der Medaille ist die reduzierte „Manpower“, die durch Dokumentation verloren geht. Denn alle präventive Arbeit und Beratungen müssen dokumentiert werden.

Wenn ich gestalten könnte, würde ich Dinge aus beiden Welten vereinen, präventive Arbeit finde ich wichtig und sinnvoll und Beratung ebenfalls, dort wo sie gewünscht ist. Aber ein wenig mehr Leichtigkeit von damals, arbeiten mit weniger Angst, Angst vor dem MDK, der Wohnpflegeaufsicht, dem TÜV, der Berufsgenossenschaft und anderen Playern aus den Kontrollorganen des Gesundheitswesens, mit ihren Vorschriften, die eingehalten werden müssen und den dazugehörigen Überprüfungen, wäre wünschenswert. Das würde die Pflege wirklich entlasten, Freiraum schaffen und ein wenig Leichtigkeit zurückholen in den anspruchsvollen Alltag aller Pflegekräfte, ohne die neusten Errungenschaften der Pflege zu vernachlässigen.

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