COVID-19 – Isolation und Verzicht

In diesem Blog kommen Mitarbeiter zu Wort, oder ich schreibe in meiner Funktion als Gesellschafterin und Pflegedienstleitung über Hilfe Daheim. Heute lässt uns Herr Tamme, der Geschäftsführer von Hilfe Daheim, einen Einblick in sein derzeitiges Leben gewähren. Ich freue mich sehr, dass er seine Gedanken und Gefühle mit uns teilt.

„Vor beinahe 25 Jahren haben Nicole Gatz und ich mit Hilfe Daheim begonnen. Vieles hat sich in diesen Jahren in der häuslichen Pflege in allen Punkten getan. Wir mussten immer wieder Neuerungen umsetzen und Veränderungen meistern. Aber die aktuelle Situation schafft Herausforderungen, die alle Beteiligten an Grenzen führen. Im Sommer werde ich 71 Jahre alt. Ein Lebensbogen vom Nachkriegskind in einer Flüchtlingsfamilie mit sieben Kindern zum selbstständigen Mittelständler. Seit 1965 bin ich beruflich aktiv, seit 1970 als Unternehmer. Für das Jahr 2020 hatte ich, neben gelegentlichen Urlaubsreisen, keine Pause geplant. Meine Lebensplanung sieht zwar vor, alles etwas ruhiger angehen zu lassen, aber eigentlich keinen wirklichen kompletten Ruhestand. Und jetzt diese Situation…

Neben meinem Alter habe ich seit einer Erkrankung in meiner Kindheit einen Herzfehler und trage seit 2009 einen Herzschrittmacher in meinem Körper. Dieser Herzfehler hat mich in meinem ganzen Leben nicht wirklich aufgehalten – aber nun ist das völlig anders. Wie die aktuellen Erkenntnisse der Wissenschaft zeigen, mit 71 und einer Herzerkrankung gehöre ich zur Risikogruppe Nummer Eins.

Erschwerte Kommunikation: Nicole Gatz und Johannes Tamme bei einer Videokonferenz. Foto: A. Gatz
Erschwerte Kommunikation: Nicole Gatz und Johannes Tamme bei einer Videokonferenz. Foto: A. Gatz

Verantwortung für Mitarbeiter und Kunden

Frau Gatz und ich haben uns schon immer als Fundament unserer Entscheidungen im Umgang mit den Mitarbeitern und unseren Kunden von einem christlichen Menschenbild und der Soziallehre leiten lassen. Insofern haben sich die Grundlagen für unsere Entscheidungen, als die Wucht der Corona Epidemie sichtbar wurde, nicht wesentlich verändert. Wir haben als Leitung die Verantwortung für das Wohlbefinden und die Unversehrtheit unserer Mitarbeiter und unserer Kunden. Diese Verantwortung nehmen wir ernst. Unser Umgang mit unseren Mitarbeitern ist schon immer menschen- und bedürfnisorientiert gewesen. Es ist kein Trick oder System, sondern eine Einstellung. Heute haben wir das beste Team der Welt und es hat mich gerührt, wie alle Mitarbeiter in dieser Herausforderung zusammenhalten und alle versuchen, während sie sich selbst schützen müssen, die Versorgung unserer Kunden sicherzustellen. Deshalb ein besonders herzliches Dankeschön an alle Mitarbeiter.

Was für ein Tag für mich persönlich: der 4. März 2020. Ein Tag, den ich nicht vergessen werde. Frau Gatz hat mich gemeinsam mit ihrer Tochter Anna „gezwungen“, an dem Tag meine persönlichen Sachen zu packen und nicht mehr ins Büro zu Hilfe Daheim zu kommen, bis diese Epidemie unter Kontrolle ist. Sie haben mir außerdem aufgetragen, außer zum Spazierengehen das Haus nicht zu verlassen. Einerseits war das ein Schlag für mich, andererseits bin ich dankbar, weil diese „Zwangsmaßnahme“ aus Fürsorge verordnet wurde.

Ich musste von einem Tag auf den anderen lernen, dass ich nicht mehr mittendrin sein kann. Ich muss dem gesamten Team vertrauen. Als Macher nun plötzlich in vielen Bereichen Hilfe in Anspruch nehmen. Zuhause habe ich mir zwar nun ein komplettes Büro eingerichtet und Dank der modernen elektronischen Medien bin ich mit dem Büro verbunden, aber eben nicht mehr mit den Menschen. Ein persönliches Gespräch und Kontakt sind, jedenfalls für mich, nicht zu ersetzen.

Verkehrte Welt: Kinder ermahnen ihre Eltern zu Hause zu bleiben. Sarah Tamme mit dem Einkauf für ihren Vater. Foto: J. Tamme
Verkehrte Welt: Kinder ermahnen ihre Eltern zu Hause zu bleiben. Sarah Tamme mit dem Einkauf für ihren Vater. Foto: J. Tamme

Abstand statt Nähe

Nun sind sechs Wochen, SECHS WOCHEN, vergangen. Das Team hat mir bewiesen, dass es die Herausforderung bestens besteht. Auch wenn es immer noch für alle eine tägliche Herausforderung ist. Meine Frage ist jetzt, wenn ich wieder zu HILFE DAHEIM kommen kann: werden meine Mitarbeiter mich noch wiedererkennen? Ist mein Schreibtisch noch da? Passt mein Schlüssel noch in die Eingangstür….

Neben meiner betrieblichen Ausbildung habe ich in den USA Theologie studiert und fünfzehn Jahre in Hamburg eine christliche Gemeinschaft als Pastor geleitet. Mein Glaube ist auch für diese ganze Zeit mit ihren völlig neuen Herausforderungen die Basis für inneren Frieden. Und dennoch kann ich den Fachleuten nur zustimmen, dass diese häusliche Isolation eine große Herausforderung ist. Hilfe Daheim arbeitet mit Menschen für Menschen. Als Pastor war ich für Menschen da. Und nun das – bestenfalls ein Videogespräch am Bildschirm. Es ist eine völlig neue und schwer erklärbare Erfahrung.

Was ich auch ungemein vermisse, ist der direkte Kontakt mit meinen Enkelkindern. Wir sprechen mit entsprechendem Abstand miteinander. Kein Drücken – kein miteinander spielen – es ist nicht einfach… Dabei kann und bin ich noch dankbar, dass meine liebe Frau bei mir ist und ich nicht allein zuhause sitzen muss. Plötzlich bekommt diese Gemeinschaft nochmal eine andere Dimension. Wir sind beide aktive Menschen, aber nun müssen wir auch in so vielen persönlichen Bereichen Hilfe in Anspruch nehmen. So ist unsere Tochter Sarah zum Beispiel unsere Einkaufshilfe, unsere Verbindung in die Welt…

Ich habe vor langer Zeit irgendwo die nachfolgenden Gedanken gelesen: Wie würde dein Leben heute aussehen, wenn das nicht mehr da wäre, wofür du gestern nicht dankbar warst. Ich bin dankbar für meine Frau und Kinder in dieser schwierigen Phase, und dass ich Nicole Gatz mit dem ganzen Team habe, um Hilfe Daheim bestens durch diesen großen Sturm zu segeln.“

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