Wertschätzung geht anders…

Vor sechs Wochen habe ich, Johannes Tamme, als „Gastkommentator“ einen Blog mit dem Titel „Isolation und Verzicht“ geschrieben, aus der Sicht eines betroffenen Großvaters und Risikopatienten in dieser Corona-Krise. Nun sechs Wochen später hat sich an diesen Punkten der Isolation und des Verzichts nichts geändert. Klagen (liegt mir ohnehin nicht) will ich aber trotzdem überhaupt nicht, denn ich muss weder leiden noch bin ich krank. Meine Situation ist tatsächlich unvergleichlich viel besser, als die Belastung der Menschen, die in der Pflege direkt mit den Folgen dieser Pandemie zu kämpfen haben.

Wenn ich heute meinen Unmut zu der Diskrepanz zwischen öffentlichen Aussagen über die Belastung und Wertigkeit und tatsächlichem Handeln aufschreibe, geschieht das eben nicht für mich selbst. Ich bin kein Pfleger, sondern wegen meiner Ausbildung und lebenslangen Berufserfahrung für den wirtschaftlichen und geschäftlichen Teil bei HILFE DAHEIM verantwortlich.

Einer der Leitsätze von Hilfe Daheim: Respekt, Anerkennung und Wertschäzung für Pflegekräfte. Foto: A. Gatz
Einer der Leitsätze von Hilfe Daheim: Respekt, Anerkennung und Wertschäzung für Pflegekräfte. Foto: A. Gatz

Vergütungsverbesserungen für Pflegekräfte

Alle Politiker und viele Menschen, die von der Öffentlichkeit aus anderen Gründen mit ihren Meinungen wahrgenommen werden, sind voll des Lobes über die schwere Arbeit der Pflegekräfte. Sie beschweren sich darüber, dass diese nicht entsprechend vergütet werden. Irgendwie vergisst die Politik aber darüber, dass die Krankenkassen, Pflegekassen und der Sozialetat der öffentlichen Hand über die Vergütung der Pflegekräfte bestimmen. Gerade jetzt ist in der Presse zu lesen, dass ein gemeinnütziger Verband mit Verdi eine Erhöhung der Vergütung für die Pflegekräfte in Höhe von 2,5% vereinbart hat. Da frage ich mich ernsthaft, wie auf diesem Wege eine Verbesserung der Vergütung für die Pflegekräfte erreicht werden soll.

Es muss ja wohl davon ausgegangen werden, dass dieser gemeinnützige Verband sich nicht die berühmte „goldene Nase“ mit der Pflege verdient. Damit sind eben Vergütungsverbesserungen für die Pflegekräfte nur dann möglich, wenn die Erhöhungen deutlich über solchen Prozentsätzen liegen, um eine echte Verbesserung zu erreichen. Hier liegen Bekenntnisse und Handeln weit auseinander.

Ein weiteres Beispiel ist die von unserem Gesundheitsminister Spahn ins Spiel gebrachte Bonus-Zahlung über Euro 1.500,00 für die Belastung der Pflegekräfte in dieser Corona-Krise. In Gesprächen mit Menschen, die nicht in der Pflege tätig sind, zeigen sich diese völlig überrascht, dass die Finanzierung dieser Bonuszahlung nicht gleich klar war, und äußern ihr Unverständnis, dass diese Zahlung nicht längst erfolgt ist.

Bonus für alle? - Herr Spahn bei der Veranstaltung „Politik trifft Pflege“. Foto: Peter Vogel, Hamburg
Bonus für alle? – Herr Spahn bei der Veranstaltung „Politik trifft Pflege“. Foto: Peter Vogel, Hamburg

Kein Bonus für Pflegekräfte in Krankenhäusern

Aber tatsächlich sind inzwischen Wochen vergangen. Die ganzen vielen öffentlichen Bekenntnisse über die Wichtigkeit als Zeichensetzung einer solchen Honorierung sind bisher nichts weiter gewesen als Diskussionen über die Kostenübernahme. Die Pflegeversicherung will nicht, der Bund wollte (obwohl von dort die Bonuszahlung vorgeschlagen wurde) zunächst nicht und dann nur zum Teil, die Stadt Hamburg wollte nicht und dann nur zum Teil…

Jetzt haben zwar erfreulicherweise der Bund (1000 Euro) und die Stadt Hamburg (500 Euro) entschieden, die Kosten für diesen Bonus zu übernehmen. Aber was für ein Zeichen ist dieses „Hin- und Hergeschiebe“ der Verantwortung an die Pflegekräfte über die Diskrepanz zwischen öffentlichen Bekenntnissen und tatsächlicher Handlungsbereitschaft. Tatsächlich angekommen ist bei den Pflegekräften bis heute noch nichts…
Wenn Gesundheitsminister Spahn diesen Vorschlag einer Bonuszahlung an die belasteten Pflegekräfte macht, warum folgt dann nicht eine gleichzeitige Entscheidung, diese Bonuszahlung zu finanzieren und zügig umzusetzen? So hätte meiner Meinung nach Wertschätzung ausgesehen.

Was mich aber vielleicht am meisten stört an diesem ganzen unwürdigen Hickhack ist die Tatsache, dass bis heute nicht geplant ist, den Bonus an die Pflegekräfte in den Krankenhäusern zu zahlen. Nachdem ich das gelesen habe musste ich mir erst einmal bei unserer Pflegedienstleitung, Frau Nicole Gatz, die Gewissheit holen, dass ich das richtig verstanden hatte.

Ich bin völlig damit einverstanden die Belastung der Mitarbeiter in der Altenpflege nicht nur zu bewundern, sondern auch zu honorieren.  Es ist mir aber völlig unverständlich, wie man die Pflegekräfte im Krankenhaus anders behandeln kann. Ich bin sicher, ich hätte als Pflegekraft im Krankenhaus damit zu kämpfen. Ich weiß nach fast 25 Jahren als Geschäftsführer eines großen Pflegedienstes wie Pflegekräfte denken. Menschen, die heute noch in der Pflege tätig sind, haben eine bestimmte Einstellung zur Hilfe. Es besteht eher die Gefahr, dass sie sich zu viel zumuten, als dass sie dazu neigen, ihre Arbeit und ihren Einsatz schleifen zu lassen. Aber dann noch so behandelt zu werden, mit diesen öffentlichen Aussagen über die Bedeutung und Schwere der Arbeit und die große Dankbarkeit, gleichzeitig aber eine Belohnung zu versprechen, die nie bei mir als Pflegekraft im Krankenhaus ankommt…

 Belgische Pflegekräfte beim Empfang der Premierministerin: Kalte Schulter für neues Corona-Gesetz. Foto: https://peoplesdispatch.org/2020/05/19/following-outcry-belgian-minister-deletes-criticism-of-hospital-workers-protest/
Belgische Pflegekräfte beim Empfang der Premierministerin: Kalte Schulter für neues Corona-Gesetz. Foto: https://peoplesdispatch.org/2020/05/19/following-outcry-belgian-minister-deletes-criticism-of-hospital-workers-protest/

Stiller Protest

Es gibt im Internet ein kleines Video über die Reaktion der Pflegekräfte in ihrem Krankenhaus in Belgien beim Besuch der Ministerpräsidentin. Die Ärzte und Pflegekräfte stehen vor dem Krankenhaus Spalier. Als die Ministerpräsidentin auf dem Weg zum Krankenhaus ist, dreht sich einer nach dem anderen um, sodass diese mit dem Rücken zu ihr stehen (zum Video). Das ist ein gutes Beispiel über das Verhalten von Pflegekräften. Sie sind eben erstens nicht die lauten Zeitgenossen und zweitens haben viele wahrscheinlich bei den nun wochenlangen Belastungen gar keine Energie mehr zu großen Aktionen. Das Wegdrehen der belgischen Pflegekräften drückt besser aus als tausend Worte, wie sich diese Menschen fühlen – weder wertgeschätzt noch wahrgenommen.

Ich hoffe sehr, dass in unserem Land aus Lippenbekenntnissen erkennbar ein wirkliches Handeln gegenüber den Pflegekräften wird. Darüber entscheiden wir aber letztlich alle selbst. Es liegt an uns als Gesellschaft, was uns Gesundheit und würdiges Umgehen mit unseren älteren und kranken Mitmenschen wert ist. Denn am Ende dürfen wir nicht vergessen, dass diese Bereiche ein Teil unserer sozialen Marktwirtschaft sind, in der wir alle gemeinsam die Kosten für „sozial und menschlich“ über Steuern und Versicherungsbeiträge bezahlen müssen.

Ich würde mich freuen, von den Lesern Meinungen zu bekommen, wie sie über diese Frage denken: Sind wir wirklich bereit, uns die Pflege und damit unsere Gesundheit etwas kosten zu lassen? Nicht irgendjemand…, sondern ich… Was ist, wenn es dann unseren eigenen Geldbeutel über Steuerzahlungen oder Pflegeversicherungsbeiträge betrifft…

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